Frauen und Mädchen sind in Honduras vielfach Opfer von Gewalt, auch und gerade innerhalb der Familien. Der Staat schaut weg und setzt Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Betroffenen einsetzen, massiv unter Druck. Vier Frauen- und Menschenrechtsaktivistinnen – darunter zwei von unserem Partner CASM (Comisión de Acción Social Menonita) – haben uns bei einem Besuch in Deutschland ihre Arbeit geschildert. Ihr Bericht macht deutlich, wie wichtig es ist, gemeinsam ein Zeichen gegen die Gewalt zu setzen.
Text und Fotos: Kindernothilfe e.V.
Wenn es um Honduras‘ Maras (Jugendbanden) geht, stehen meist minderjährige Jungen im Fokus. Sie werden von diesen berüchtigten Jugendbanden im großen Stil für Verbrechen aller Art rekrutiert. Dass sich die Bandenchefs gerne mit jungen Mädchen schmücken und sie sexuell ausbeuten, ist weniger bekannt. Merly Clereth Eguigure Borjas von der Frauenorganisation Visitación Padilla erzählt von einer Mutter, die eigens in ein anderes Stadtviertel gezogen ist, um ihre Tochter vor den Besitzansprüchen der Bandenbosse zu schützen. Doch der Arm der Maras ist lang: Das Mädchen wurde auf offener Straße erschossen, als es mit seiner Mutter und einigen Nachbarinnen vor dem Haus beisammensaß.
Schwerpunkt: häusliche Gewalt
Die Gewalt, die den Alltag in Honduras prägt, richtet sich vor allem gegen Frauen und Mädchen. Das betrifft alle Lebensbereiche: Sexuelle Belästigungen in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz sind an der Tagesordnung, Entlassungen aufgrund einer Schwangerschaft die Regel. Besonders hoch ist das Gewaltpotenzial innerhalb der Familie. CASM und Visitación Padilla, so erzählen die vier Aktivistinnen, haben jedes Jahr mit rund 750 Strafanzeigen zu tun, die bei der Polizei eingehen. Bei mehr als einem Drittel der Fälle geht es um häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen: Vernachlässigung, Misshandlung, Vergewaltigung.
„Darauf liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit“, sagt Cristina del Carmen Alvarado Lara. Die Zahlen, die sie nennt, sind alarmierend. Laut Statistik gab es zwischen 2008 und 2014 rund 18.000 Strafanzeigen wegen Vergewaltigungsdelikten – die Dunkelziffer liegt deutlich höher. In mehr als 15.600 Fällen waren Frauen und Mädchen betroffen. Erschreckend ist besonders deren Altersstruktur: 40 Prozent der Vergewaltigungsopfer waren jünger als 14 Jahre, weitere 30 Prozent hatten das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet.
Unzureichende Strafverfolgung
Aufgrund der laschen Rechtsprechung bleiben viele Täter straffrei. Häusliche Gewalt gilt gar nicht als Straftat, nur Vergewaltigungen werden geahndet. Allerdings sind die Strafen dafür so gering, dass sie das Klima der Gewalt noch fördern. Ein bis drei Jahre Gefängnis drohen Vergewaltigern im schlimmsten Fall. Alternativ verhängte Geldstrafen werden gestundet und sind so gering, dass sie sich auf kaum mehr als umgerechnet 50 Cent pro Tag belaufen.
Hinzu kommt, dass die Mehrzahl der angezeigten Vergewaltigungen gar nicht weiterverfolgt wird, weil die Behörden nicht reagieren oder die Familien sich untereinander einigen. In manchen Fällen bedrohen die Täter die Opfer so massiv, dass diese die Anzeige zurückziehen.
Trotzdem gibt es Erfolge. „Früher wurden Vergewaltigungen nur verfolgt, wenn ein Strafantrag vorlag. Seit 1997 ist die Staatsanwaltschaft in jedem Fall verpflichtet zu ermitteln“, erklärt Ana Raquel Lopez Paz. Erreicht haben das Organisationen wie CASM und Visitación Padilla, die sich gezielt für Frauenrechte einsetzen. Dass es sie überhaupt in so großer Zahl gibt, ist schon als Erfolg zu werten, jedoch zeigt sich daran der große Bedarf an zivilrechtlichem Engagement.
Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich
„Fehlende Gesetze sind nicht so sehr das Problem, es hapert vielmehr an der Umsetzung“, weiß Karla Rosario Erazo Vasquez. Seit einigen Jahren entwickelt sich die Rechtsprechung sogar wieder zurück. Gewaltdelikte innerhalb der Familie werden durch eine Herabsetzung der Strafen entkriminalisiert. Demgegenüber verschärft der Gesetzgeber die Strafen für terroristische Gewalt und zieht auch im Demonstrationsrecht die Schrauben an – bis zu 40 Jahren Haft drohen Demonstrationsteilnehmern neuerdings.
Auch in anderer Hinsicht verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen in Honduras. Nichtregierungsorganisationen werden als Nestbeschmutzer beschimpft, und die Behörden denken sich immer neue bürokratische Hürden aus, um zivilgesellschaftliches Engagement zu behindern. Selbst Leib und Leben sind zunehmend in Gefahr. Die vier Frauen berichten von einem vorgeblichen Schutzprogramm für Menschenrechtsaktivisten, das von den Betroffenen detaillierte Persönlichkeitsdaten erhebt – mit dem Ergebnis, dass danach auch die Familie Drohungen erhält.
Zeichen der Frauen gegen die Gewalt
Das Klima der Gewalt und Unterdrückung macht die Arbeit der Frauenrechts-Organisationen noch dringlicher. Ihrem Engagement etwa ist es zu verdanken, dass es Programme zur Betreuung von Vergewaltigungsopfern gibt – der Staat hat sich darum bislang nicht gekümmert. Gerade für minderjährige Mädchen sind derartige Hilfsangebote überlebenswichtig.
Der Anteil der Minderjährigen an den Schwangerschaften beträgt in Honduras mittlerweile mehr als zehn Prozent. Mindestens die Hälfte dieser Mädchen ist Opfer einer Vergewaltigung. Vermutlich liegt ihr Anteil aber noch viel höher, weil die Krankenhäuser keine genauen Zahlen erheben. Hier macht sich das Fehlen einer ausreichenden Kinderschutzgesetzgebung besonders schmerzhaft bemerkbar.
Diese Lücke wollen wir nun gemeinsam mit unseren Partnern schließen – mit einem Projekt zum Aufbau eines staatlichen Kinderschutzsystems. Der Schutz von Kindern vor häuslicher Gewalt wird darin eine bedeutende Rolle spielen.