Wie können Kinder aus armen Familien am Fernunterricht teilnehmen? Unser peruanischer Partner Filomena macht es vor – mit kostenlosen Internetzugängen, dem Ausdrucken von Unterrichtsmaterialien und Hausbesuchen zur persönlichen Unterstützung. Denn sonst kann es leicht passieren, dass viele Kinder nach dem Ende der Schulschließungen nie mehr in den Unterricht zurückkehren.
Von Dr. Magdalene Pac, Bildungsexpertin und Advocacy Officer der Kindernothilfe
In Peru bleiben die Schulen bis zum Ende des Jahres leer. Stattdessen versorgt das peruanische Bildungsministerium die knapp zehn Millionen Schüler und Schülerinnen des Landes mit „Aprendo en Casa“ oder „Lernen zu Hause“, einem digitalen Unterrichtsprogramm, das Internet-, Radio- und Fernsehplattformen nutzt. Aber wie kommen die Schüler und Schülerinnen damit klar? Kann der Fernunterricht die Schulschließungen ausgleichen? Unser Partner Filomena Tomaira Pacsi hat sich bei Mädchen und Jungen im Bergbauort La Oroya im zentralen peruanischen Hochland umgehört.
Virtuelle Schule: Was sagen die betroffenen Kinder?
„Der Fernunterricht läuft über Whatsapp und teilweise auch über Radio- und TV-Kanäle“, sagt Anthony. „Zuerst war es schwierig für mich, weil wir kein Internet hatten, und einen Computer oder Drucker haben wir auch nicht.“ Angela berichtet, dass sie Unterricht über das Telefon erhält und ihrer kleinen Schwester mit den Schularbeiten hilft, weil sich die Eltern den ganzen Tag um die Tiere auf der Weide kümmern und auch für andere Hütedienste übernehmen.
„Wenn ich Fragen habe, kann ich die nirgendwo loswerden“, beklagt sich Zeidel über die Folgen der Schulschließungen. „Außerdem ist Fernunterricht teuer. Es gibt Handygebühren, Kosten für ausgedruckte Arbeitsblätter und Schulmaterialien und anderes mehr.“ Er macht sich große Sorgen: „Mein Vater ist Maurer, aber zur Zeit arbeitslos, und wir haben kaum Geld für Lebensmittel und müssen ja auch Seife und Masken gegen das Virus kaufen.“
Auch Sarita ist besorgt: „Die Zahl der Infektionsfälle nimmt täglich zu, jetzt sind es 40 Fälle, und die Menschen verstehen nicht, dass wir vorsichtig sein müssen.“ Wie verzweifelt die Lage vieler Familien ist, verrät Tau: „Ich bin traurig, weil mein Vater nicht arbeitet, und manchmal streitet er sich mit meiner Mutter, weil das Geld für Lebensmittel und andere Ausgaben fehlt.“
Schulschließungen schaden benachteiligten Kindern besonders
Im April 2020 – dem bisherigen Höhepunkt der Schulschließungen – konnten laut Angaben der UNESCO 1,5 Milliarden Kinder – das entspricht 90 Prozent aller Kinder weltweit – nicht zur Schule gehen. Und während in Deutschland die Bildungseinrichtungen seit dem Ende der Sommerferien wieder fast im Regelbetrieb unterrichten, bleiben die Schulen in vielen unserer Partnerländer weiterhin geschlossen. Das bedeutet, dass weltweit fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder immer noch von Schulschließungen betroffen sind.
Das Schlimme daran ist: Je länger die Schulschließungen dauern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen gar nicht mehr in die Schule zurückkehren. Das betrifft gerade diejenigen, die ohnehin benachteiligt sind, weil sie zum Beispiel aus armen Haushalten kommen. Ist die Bildungsbiografie einmal unterbrochen, verschlechtern sich für sie die Chancen, ihr Leben selbständig zu gestalten und den Kreislauf der Armut zu durchbrechen. Für Mädchen bergen Schulschließungen zudem die Gefahr von ungeplanten Frühschwangerschaften und Frühverheiratung sowie insbesondere auch von sexualisierter Gewalt.
Fernunterricht verschärft Ungleichheiten
Dazu kommen die vielen Nachteile von digitalen Unterrichtsstunden. In unseren Partnerländern ist ein großer Anteil von Kindern komplett vom Fernunterricht ausgeschlossen. Laut UNICEF werden weltweit 30 Prozent aller Grundschulkinder nicht durch Fernlernmethoden erreicht. In afrikanischen Ländern hat sogar fast die Hälfte aller Kinder keinen Zugang zu Fernunterricht. Im Bereich der frühkindlichen Bildung ist es noch alarmierender: Hier sind 70 Prozent aller Kinder von jeglicher Bildung ausgeschlossen.
Tatsächlich verschärft Fernunterricht als Folge von Schulschließungen bestehende Ungleichheiten dramatisch. Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, aber auch zwischen ländlichen und städtischen Regionen – Letztere weisen beim Zugang zu Bildung die meisten Defizite auf.
Auch die Einkommenssituation der Haushalte spielt eine bedeutende Rolle: Für viele Haushalte sind Endgeräte wie Fernsehen, Radio und Internet ein unerschwinglicher Luxus – erst recht jetzt, wo durch Lockdown-Maßnahmen das Familieneinkommen wegbricht. Allein der Strom kostet Geld, überdies sind in vielen Ländern Stromausfälle an der Tagesordnung. All diese Belastungen treffen Kinder mit Behinderungen besonders hart: Ihre Bedürfnisse werden zumeist weder wahrgenommen noch berücksichtigt.
Das Recht auf Bildung verteidigen: Unsere Unterstützung für Familien
In unseren Projekten setzen wir uns dafür ein, Kinder und Jugendliche einschließlich ihrer Familien während dieser Krise so gut wie möglich zu unterstützen. Dazu gehören ganz praktische Hilfen wie Lebensmittelpakete, aber auch psycho-soziale Betreuung sowie die Sicherstellung von Bildungsangeboten trotz Schulschließungen.
Für unseren Partner Filomena Tomaira Pacsi in Peru spielt Bildung eine zentrale Rolle. Vor allem arme Familien in La Oroya, die in ländlichen Gebieten leben, haben nur sehr begrenzt Zugang zum Internet. Der Verlust von Arbeitsmöglichkeiten verschärft die ohnehin angespannte Einkommenssituation. Geld für Internetguthaben bleibt oft nicht übrig.
Ein Ziel des Projektes ist es, den Zugang zum Fernunterricht während der monatelangen Schulschließungen sicherzustellen. Um das zu erreichen, stellt Filomena Internetzugriffsunkte mit freiem und offenem Signal zur Verfügung, so dass sich Kinder und Jugendliche Schulmaterial herunterladen können. Für viele Kinder werden Lerneinheiten ausgedruckt und nach Hause geliefert. Dafür hat die Partnerorganisation zusätzliche leistungsstarke Drucker angeschafft.
Darüber hinaus legt der Partner größten Wert auf die persönliche Betreuung, sofern sie sich unter den gegebenen Umständen umsetzen lässt. Eltern werden dabei begleitet, ihre Kinder beim Lernen zu Hause zu unterstützen. Wann immer möglich, ergänzen Hausbesuche das Betreuungsprogramm.