Hunderttausende Rohingya-Familien sind auf der Flucht vor Gewalt, Zerstörung und Tod. Mehr als die Hälfte sind Kinder. Ihr Ziel: das Nachbarland Bangladesch. Dort angekommen, erwarten sie überfüllte Flüchtlingscamps und chaotische Verhältnisse. Die Kindernothilfe engagiert sich vor Ort. Denn die verfolgten Rohingya erfahren im überforderten und bitterarmen Bangladesch wenig Unterstützung. Verantwortliche der Kindernothilfe-Partnerorganisation AMURT haben mit Menschen aus dem Lager gesprochen. Die Namen aller Personen wurden geändert.
Text und Fotos: Karl Andersson
„Ich weiß nicht, wann wir aus diesem Gefängnis entlassen werden“
Yasser ist 28 Jahre alt und kommt aus Myanmar. Er wurde vor fünf Jahren wegen eines angeblich illegalen Besuchs in Bangladesch verhaftet. Damals war er für die Behandlung seines kranken Vaters ins Nachbarland gekommen, da es in Myanmar keine geeignete Einrichtung gab. Nach der Behandlung kehrte er zurück. Als die Behörden erfuhren, dass Yassir Bangladesch ohne legale Erlaubnis besucht hatte, verhafteten sie ihn. Fünf Jahre Haft lautete seine Strafe, nach bereits drei Jahren wurde er wegen gutem Benehmen entlassen.
Anschließend heiratete er, seine Frau schenkte ihm zwei Kinder. Mit seiner Familie lebte er in einem Familienhaus mit Friseursalon, in dem er arbeitete. Im August 2017, als die Massaker an den Rohingya in Myanmar begannen, verließ Yasser seine Heimat. Er wollte seine Familie retten.
Heute lebt er mit seiner Frau und seinen Kindern in einem der Flüchtlingscamps im Süden von Bangladesch. Um das Überleben seiner Familie zu sichern, arbeitet er dort als Friseur – einer der wenigen Jobs, die im Camp angeboten und einigermaßen gut bezahlt werden. Er weiß nicht, wie seine Zukunft aussieht oder wann er und seine Familie aus diesem neuen „Gefängnis“ entlassen werden. Denn verlassen dürfen sie das Camp nicht.
„Wenn wir aus Bangladesh zurückkehren, werden sie uns töten“
Hassan ist erst neun. Im September 2017 kam er mit seinen Eltern von Myanmar nach Bangladesch. Sein Vater Jubyeer war dort Fischer, und er hat sieben Geschwister. Hassan ist unterernährt – das hat sich auch auf sein körperliches Wachstum ausgewirkt: Auf seinen Beinen kann er kaum richtig stehen. Auch seine geistige Entwicklung ist nicht altersgerecht.
Er leidet sehr unter den Erinnerungen an die Gewalt in Myanmar. Selbst zwischen Kindern, die Ähnliches erlebt haben, fühlt er sich minderwertig. Hassan besucht das von der Kindernothilfe geförderte Kinderzentrum (Child Friendly Space – CFS). In Absprache mit seinen Eltern überwiesen die Mitarbeiter ihn in das nahegelegene Global Hospital.
Dort wird er wegen seiner körperlichen Beschwerden behandelt. Hassans Psyche ist sehr instabil: Kleine Probleme machen ihn schnell wütend. Im Kinderzentrum arbeitet deshalb ein Psychologe mit ihm. Inzwischen freut sich Hassan auf die Behandlung. Er weiß, dass Bangladesch nicht seine Heimat ist und dass er jederzeit nach Myanmar zurückgeschickt werden kann. Der Gedanke daran macht ihm Angst: „Wenn wir zurückkehren, werden sie uns töten!“ Wie seine Zukunft aussieht, weiß er nicht. Dennoch denkt Hassan positiv: „Ich fühle mich gut, wenn ich ins CFS komme. Ich spiele gerne, zeichne Bilder und bekomme Früchte und Snacks. Ihr passt alle gut auf mich auf.“
„Wenn ihr uns zurückschicken wollt, tötet uns besser hier“
Amal ist 35 Jahre alt. Ihre Familie führte in Myanmar ein gutes Leben: Sie lebten in einem schönen Haus mit drei Hektar Ackerland, zwei Stieren und zwei Kühen. Amal und ihr Mann haben sieben Kinder – sechs Töchter und einen Sohn. Ihre jüngste Tochter ist sieben Jahre alt. Obwohl Amal staatenlos ist, fühlt sie sich in Bangladesch wohler als in Myanmar, denn in ihrem früheren Wohnort hatten ihre Kinder keine Chance auf Bildung.
Im Flüchtlingscamp machen zwei ihrer Töchter heute eine Ausbildung. Ihre vier Kinder, die älter als elf Jahre sind, haben keine Aufgabe im Camp. Ihre Tochter Zahra (20) und ihr Sohn Karim (16) würden gerne arbeiten, um etwas für die Familie zu verdienen, doch dafür gibt es im Camp keine Möglichkeit. Die Familie hat Waren und Lebensmittel von nationalen und internationalen Agenturen bekommen. Der Reis, den sie hier zu essen bekommen, so sagen sie, ist nicht so gut wie der in ihrer Heimat.
Amal will mit ihrer Familie nicht nach Myanmar zurückkehren, solange ihre Sicherheit dort nicht gewährleistet ist: „Wenn ihr uns zurückschicken wollt, tötet uns besser hier, weil sie uns dort töten werden.“