In dem südostasiatischen Vielvölkerstaat vergeht seit dem Militärputsch vom 1. Februar kaum ein Tag ohne Massendemonstrationen und Militärgewalt. Myanmar befindet sich im Ausnahmezustand, das Leben ist zum Stillstand gekommen. Denn die Bevölkerung ist nicht gewillt, die Aberkennung des Parlamentswahlergebnisses vom November letzten Jahres, den Sturz der demokratischen Regierung, die Verhaftung der De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und das harte Vorgehen der Polizei hinzunehmen. Auf der anderen Seite greift die Militärführung zu immer drastischeren Maßnahmen und die Opferzahlen steigen. Können sich die Demonstrant:innen mit ihrer Forderung nach einem Ende des Militärregimes durchsetzen?
Sania Farooqui, Larry Jagan / IPS, Katharina Huber / Kindernothilfe Österreich
Unbeschränkte Durchsuchungen und unbefristete Inhaftierungen wurden bereits durch die Gesetzesänderung kurz nach dem Putsch ermöglicht. Mittlerweile sind auch systematische Plünderungen von Geschäften und Häusern, Diebstahl von Lebensmitteln auf den Märkten und die Beschlagnahmung von Besitztümern in Privathäusern nichts Ungewöhnliches mehr. Zudem wird der Einsatz der Sicherheitskräfte immer brutaler. Bis jetzt sind laut UN mehr als 50 Todesopfer zu beklagen. Und die Situation verschlimmert sich von Tag zu Tag. Weiteres Blutvergießen gilt als unvermeidbar.
Myanmar braucht Hilfe von außen
Aus genau diesem Grund haben sich Aktivist:innnen nun offiziell an die internationale Staatengemeinschaft gewandt. Nach dem bisher blutigsten Tag seit Beginn der Auseinandersetzungen, bei dem Polizei und Sicherheitskräfte mit scharfer Munition in die Menge der Demonstranten in Rangoon, Dawei, Mandalay, Myeik, Bago und Pokokku geschossen hatten, sagte Dr. Sa Sa, Myanmars Sondergesandter bei der UNO: „Es ist an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft handelt, um unser unschuldiges, wehrloses Volk zu schützen, das es wagt, sich gegen diese Schurken zu erheben, die jetzt unser Land kontrollieren.“ Denn „es ist die Armee, die Verbrechen begeht. Sie sind diejenigen, die sich einer wirklichen Anklage und internationaler Gerechtigkeit in Den Haag [am Internationalen Gerichtshof] stellen müssen, sie sind diejenigen, die im Gefängnis sein sollten.“
Nur „ziviler Ungehorsam“ oder doch mehr?
Oberflächlich betrachtet scheint der Volksaufstand führerlos und Ausdruck einer Bestrebung der Jugend zu sein – die meisten Demonstrierenden sind unter 30 Jahre alt. Aber die Bewegung des „zivilen Ungehorsams“ umfasst mehr. Die Proteste drehen sich zum größten Teil um die Freilassung Suu Kyis und die Aufforderung an das Militär, sich an die Wahlergebnisse vom November zu halten, bei denen Suu Kyis NLD überzeugend die Mehrheit der Stimmen gewann.
Darüber hinaus streiken vor allem Myanmars Beamt:innen – die Ärzt:innen, Krankenschwestern und Gesundheitsarbeiter:innen, die vor vier Wochen die Kampagne des zivilen Ungehorsams initiiert haben – für den Schutz der Demokratie. Myo Win, Aktivist und geschäftsführender Direktor der Smile Education and Development Foundation, erklärte: „Es ist viel umfassender: Es geht darum, den Übergang zur Demokratie zu vollenden, die Verfassung von 2008 zu zerreißen und sie durch einen demokratischen, föderalen Staat zu ersetzen und die Militärdiktaturen für immer zu beenden.“ Die Verfassung von 2008 erlaubt es dem militärischen Oberbefehlshaber, in extremen Fällen die Macht zu übernehmen.
Alles steht still
Dabei hat die aktuelle Lage katastrophale Auswirkungen auf das Land. Die Banken sind zu, die Regierungsbüros leer und die Treibstoffvorräte des Landes gehen bedrohlich zur Neige. Krankenhäuser, Universitäten und Schulen sind größtenteils geschlossen, ebenso die meisten Fabriken. Myanmar ist praktisch zum Stillstand gekommen.
Auch die Arbeit des Kindernothilfe-Partners World Concern Myanmar im Shan-Staat ist betroffen, die auf die Stärkung der Frauen, die Umsetzung der Kinderrechte und die Minderung der extremen Armut abzielt. Es gibt zwar eine entsprechende Vereinbarung mit dem Gesundheitsministerium, die die Fortsetzung der Projektaktivitäten gewährleistet. Aber die tagtägliche Arbeit vor allem auf Gemeindeebene und mit den Selbsthilfegruppen, ebenso Schulungen und Hausbesuche, werden nur nach sorgfältiger Abwägung der aktuellen politischen Situation fortgesetzt. Was nicht über das Internet abgewickelt werden kann, ist nur sehr eingeschränkt möglich. Das beeinflusst die bisherigen Fortschritte in den betroffenen Gemeinden. Das gesteigerte wirtschaftliche Wohlergehen und die erhöhte Stabilität in den Familien sind gefährdet. Damit erhöht sich wiederum das Risiko für Kinderarbeit und Frühverheiratung, also die Wahrscheinlichkeit von Kinderrechtsverletzungen.
Hoffnung für Myanmar?
Derzeit ist eine Entspannung der Situation jedoch nicht in Sicht. Denn das Vorgehen des Militärs wird immer aggressiver und die Aktivist:innen werden nicht aufhören, sich dagegen zu stellen. „Wir müssen die Armee weiterhin daran erinnern, dass wir nicht aufgeben. Wir gehen nicht weg und wir werden ihre Bemühungen, das Land zu regieren, weiterhin bei jeder Gelegenheit vereiteln“, so Dr. Sa Sa.