Das Leben in Lateinamerika ist von Gewalt geprägt. Besonders Mädchen sind gefährdet. Doch unser bolivianischer Partner PASOCAP packt mithilfe des Projektes Time 2 Talk dieses Problem an der Wurzel und unterstützt die Betroffenen dabei, sich zu wehren – zum Beispiel mit einem Karnevalsumzug durch die Straßen von Potosí!
Text / Fotos: Kindernothilfe-Partner und Sophie Rutter
Gewalt in Lateinamerika
Wie in anderen Ländern Lateinamerikas bestimmt auch in unserem Partnerland Bolivien Gewalt das Leben der Menschen. Besonders Kinder leiden darunter. Oft können sie der Gewalt nicht entkommen – ob zu Hause, in der Schule oder sogar auf dem Spielplatz. Für viele Kinder ist Gewalt Teil des täglichen Lebens, auch gegenüber Gleichaltrigen.
Zum Beispiel Evelin. Die 16-Jährige lebt zusammen mit ihren Eltern und kleinen Brüdern. Doch zu Hause gab es oft Spannungen: Sie sprachen nicht miteinander, und oft stritten die Eltern und schlugen sich auch gegenseitig. Evelin fühlte sich hilflos und wusste nicht, wie sie das unterbinden sollte. Das Verhalten der Eltern färbte auf Evelin ab und sie fing an, ihre kleinen Brüder schlecht zu behandeln. Sie wusste selbst, dass es nicht richtig war, Probleme mit Gewalt zu lösen, weil es, wie sie sagt, „absurd und schmerzhaft ist“. Sich selbst beschreibt sie als „zähes Kind“. Die ständige Gewalt brachte sie dazu zu glauben, sie müsste jeden Schlag, den sie erhält, mit beiden Händen zurückgeben.
Zeit zu reden!
Unser bolivianischer Partner PASOCAP will den Kindern und Jugendlichen aus der Spirale aus Armut und Gewalt heraushelfen. Deshalb hat er – wie viele andere Partnerorganisationen – an der erfolgreichen Kampagne Time 2 Talk – Zeit zu reden (T2T) mitgewirkt. Eines der Ergebnisse war die Gründung eines Kinderkomitees. Dessen Teilnehmer entschieden sich dafür, das Thema häusliche Gewalt genauer unter die Lupe zu nehmen, und organisierten verschiedene Workshops dazu.
Lernen und Wissen weitergeben
Auch Evelin nahm an den Trainingsworkshops teil – und begriff allmählich, dass sie sehr gewalttätig war. Doch es war noch nicht zu spät! Und das Beste: Sie konnte das Problem selbst lösen. Die 16-Jährige begann also, an sich zu arbeiten und mit ihren Eltern über das Gelernte zu sprechen. Sie erklärte ihnen, dass Schläge, aber auch Beleidigungen und fehlende Rücksichtnahme Gewalt wären.
„Wir verbrachten einen ganzen Nachmittag mit Entschuldigungen, und zwischen den Tränen beteuerten wir, dass wir uns ändern wollten“, berichtete Evelin beim nächsten Treffen des Kinderkomitees. Doch dabei blieb es nicht: Alle Eltern sollten erfahren, wie sehr Gewalt die Beteiligten schädigt und verletzt.
Also organisierte das Kinderkomitee eigene Workshops. An einem dieser Workshops nahm auch der Vater der 15-jährigen Magaly teil. Und tatsächlich: Auch er sah ein, dass Gewalt und Erziehung nicht zusammenpassen und dass Schläge keine Probleme lösen. Für Magaly und ihre Geschwister ist das eine Riesenerleichterung: Sie freuen sich, dass der gemeinsame Alltag nun viel leichter ist.
Karnevalsfest gegen Gewalt
Krönender Höhepunkt war die Teilnahme vieler Schüler am traditionellen Karnevalsfest, um so auch die breite Öffentlichkeit gegen Gewalt an Kindern zu mobilisieren. Mit Bannern, Luftballons und bunten Masken ausgestattet zogen rund 1.200 Mädchen und Jungen samt Lehrern durch Potosís Straßen und sangen dabei ihre selbst getexteten Lieder gegen Gewalt. Das war nicht nur laut und bunt, es hat ihnen auch einen Riesenspaß gemacht!
„Nein zu häuslicher Gewalt“!
Die Aktionen der Kinder waren also ein großer Erfolg und zeigen, was Beteiligung und Mitsprache bewirken. „Im Kinderkomitee haben wir viele Aktivitäten durchgeführt, die uns und unseren Familien geholfen haben. Gewalt kann uns ins Gefängnis bringen oder unser Leben ruinieren“, erzählt Magaly. „Jetzt ist mein Weg besser, dank der Workshops und Time to Talk.“
Auch Evelin ist zufrieden und sogar stolz auf die Erfolge der Gruppe. Mit ihrem Programm haben die Mädchen das Gefühl, dass Gewalt keine dominierende Rolle mehr in den Familien spielt. Evelin kann wieder lächeln und genießt den neuen Umgang miteinander in ihrer Familie. Und sie geht noch einen Schritt weiter. „Ich kann jetzt meinen Freunden helfen, kann sie beraten, mit ihnen reden und mit ihnen scherzen. Ich helfe gerne den Menschen, die meine Unterstützung brauchen“, berichtet sie.
Die Mitglieder aus dem Kinderkomitee sind fest entschlossen: Nein zu häuslicher Gewalt und Nein zu sozialer und kultureller Gewalt!