Projekte gegen Kinderarbeit sind wichtig und enorm wertvoll für ein gesundes Aufwachsen von Kindern. Doch inwieweit nehmen Kinder diese Veränderungen überhaupt wahr? Welchen Nutzen haben Werkzeuge, mit denen man beobachten kann, ob die Ziele von Projekten erreicht wurden? Sieben deutsche Organisationen und 38 ihrer Partner haben sich, unterstützt vom deutschen Entwicklungsministerium, auf dieses Experiment eingelassen. Die Kindernothilfe und elf ihrer Partner sind mit dabei.
Text: Jürgen Schübelin
Dani ist erst acht Jahre alt, doch war sie in ihrem Leben schon alles Mögliche: Kindermädchen für ihre jüngeren Geschwister, Putzfrau, Köchin – und Akkordarbeiterin in der Nachtschicht. Nur eines war sie noch nie: Ein achtjähriges Mädchen, das einfach nur zur Schule geht und mit seinen Freundinnen spielt. Warum das so ist? Dani erklärt es ohne Umschweife: „Wenn die Kinder aus Santa Bárbara nicht in den Ziegeleien arbeiten würden, hätten die Familien nicht genug zu essen!“ Es sind mehrere hundert Kinder aus diesem kleinen Ort bei Cajamarca, die mit ihrer Arbeit die Überlebenswirtschaft am Laufen erhalten.
Dani diskutiert darüber intensiv mit ihren Freunden, einmal in der Woche, immer donnerstagnachmittags. Denn seit über einem Jahr hat sie noch eine weitere Aufgabe: Dani beschäftigt sie sich mit Projekt-Monitoring. Um es präzise zu sagen: Mit der Frage, was sich durch das von der Kindernothilfe 2003 initiierte Projekt gegen ausbeuterische Kinderarbeit in Cajamarca und Umgebung verändert – zusammen mit der peruanischen Organisation IINCAP.
„Eine pädagogische Riesenherausforderung“
Gelingt es tatsächlich, immer mehr Kinder aus den Ziegeleien oder Steinbrüchen Perus dabei zu unterstützen, zur Schule gehen zu können? Wie ergeht es diesen Kindern dann in der Schule? Und wie sieht es in den Familien aus, was die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und die häusliche Gewalt anbelangt? All diese Fragen sollten in Peru geklärt werden – aus Sicht der dort zur Arbeit verpflichteten Kinder.
„Natürlich ist es pädagogisch eine Riesenherausforderung“, sagt Richar Gutiérrez von IINCAP. „Wir müssen gemeinsam mit den Kindern Methoden einüben, die helfen, Veränderungen im eigenen Leben zu erkennen und zu beschreiben. Aber die Kinder haben auf viele Probleme einen deutlich anderen Blick als Erwachsene – und auch andere Prioritäten.“
Das Experiment
IINCAP nutzt seit 2015 die Instrumente zur Wirkungsbeobachtung aus der ONG-IDEAs-Werkzeugkiste (Organización No Gubernamental-Impact on Development, Empowerment and Actions). Dahinter verbirgt sich eines der umfangreichsten und komplexesten Vorhaben zur Qualitätsentwicklung in der Geschichte der Kindernothilfe: Anfang 2015 startete dieses Pilotprojekt. Während einer Zeit von 40 Monaten wurden Methoden zur partizipativen Wirkungsbeobachtung in Lateinamerika eingeführt und erprobt. Dafür hatten sich sieben deutsche Entwicklungswerke zu einem Konsortium zusammengefunden:
action medeor (Toenisvorst),
AWO-International (Berlin),
der Internationale Ländliche Entwicklungsdienst – ILD (Bad Honnef),
Kolping-International (Köln),
terre des hommes (Osnabrück),
die Schmitz-Stiftungen (Düsseldorf)
und die Kindernothilfe (Duisburg).
Außerdem hatten sie 38 ihrer Partnerorganisationen in neun Ländern Lateinamerikas überzeugt, sich mit ihrem Wissen einzubringen und sich auf diese gemeinsame Lernerfahrung einzulassen. Finanziert wurde das Vorhaben durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und durch spendenfinanzierte Eigenbeiträge der sieben Konsortialpartner.
Die elf Kindernothilfe-Partner kamen aus Bolivien, Ecuador, Guatemala und Peru. Sie stehen für ganz unterschiedliche Themen und Arbeitsfelder: Im Fall von IINCAP aus Cajamarca ging es um das Engagement gegen ausbeuterische Kinderarbeit und die Unterstützung für arbeitende Kinder, um zur Schule gehen zu können. Außerdem darum, dass die Mütter dieser Kinder alternative Einkommensquellen finden. Andere Partner engagieren sich in der ländlichen Gemeinwesen-Entwicklung mit indigenen Communities. Andere sind Spezialisten für Inklusion und den Kampf um die Rechte von Kindern mit Behinderungen und ihren Familien. Weitere Themen waren die ökologischen Kinderrechte, frühkindliche Bildung und Strategien gegen Mangel- und Unterernährung sowie das Engagement gegen Gewalt und für Menschenrechte. Fast alle Arbeitsfelder der Kindernothilfe in Lateinamerika – das war das Auswahlkriterium – waren an dem Projekt beteiligt.
Kinder werden nach ihrer Meinung gefragt – Foto: Jürgen Schübelin
Die Kinder müssen beteiligt werden
Lateinamerika ist bereits der dritte Kontinent, in dem Organisationen mit diesen Werkzeugen arbeiten. Der Stuttgarter Soziologe und Volkswirt Eberhard Gohl beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Instrumenten zum partizipativen Wirkungsmonitoring. Ihn treibt dabei vor allem eine Beobachtung an, die sich auf der ganzen Welt in unzähligen Projekten wiederholt: „Ganz häufig ist es so, dass Nichtregierungsorganisationen mit den Geldgebern Planungen mit Details zu Aktivitäten und Indikatoren abstimmen, an denen die Zielgruppen aber überhaupt nicht beteiligt sind.“
Und wenn es darum geht, Kinder und Jugendlichen einzubeziehen, so Gohl weiter, „fehlt bei ganz vielen Organisationen entweder der politische Wille oder das methodische Know-how – oder beides!“ Das Ergebnis: In vielen Projektdokumenten werden erwartete Wirkungen oft nur ganz abstrakt beschrieben und sind nicht operational zu messen – geschweige denn, für diejenigen, um die es geht, zu durchschauen, nachzuvollziehen oder mitzugestalten. Genau hierfür enthält die „Caja de Herramientas“ – die ONG-IDEAs-Werkzeugkiste – verschiedene Tools zur präzisen Messung und Beschreibung.
Was das Experiment gebracht hat
Emma Rotondo und aus Lima und Claudia Solís aus San Salvador evaulierten das ONG-IDEAs-Projekt 2017. Den beiden Sozialwissenschaftlerinnen sprang vor allem ein Aspekt dieser kontinentalen Lernerfahrung ins Auge: „Selbstevaluierung, Selbstreflektion und das Nachvollziehen-Können von Veränderungen tragen entscheidend dazu bei, das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Sie helfen dabei, sich stark genug zu fühlen, um für die eigenen Rechte einzutreten und notwendige Konflikte zu bestehen.“
Für Richar Gutiérrez und die Kinder aus den Ziegeleien von Santa Bárbara war dieser Prozess eine außerordentlich intensive Erfahrung: „Die Arbeit mit den ONG-IDEAs-Tools mit Kindern ist pädagogisch sehr aufwändig und anspruchsvoll – sie bedarf einer intensiver Schulung und Vorbereitung. Die Kinder erwarten, ernst genommen zu werden. Diese Werkzeuge sind definitiv nichts für Pseudo-Partizipations-Spielchen.“ Dani, das achtjährige Mädchen aus Santa Bárbara, hat durch eine Beschäftigung mit Methoden der Wirkungsbeobachtung für sich vor allem Eines gelernt: viel öfter nachzufragen! Auch in der Schule. „Wir können jetzt sagen, wenn es uns besser oder schlechter geht. Und wir wissen, was passiert ist.“ Herausgefunden haben sie und ihre Freundinnen aber auch, „dass unsere Eltern einfach für ihre Arbeit viel besser bezahlt werden müssen, das ist gut für die ganze Familie“.
Zum Vertiefen:
Sowie – auf Spanisch – zwei Video-Reportagen über die Anwendung der ONG IDEAs-Werkzeuge in Lateinamerika auf der spanischsprachigen Kindernothilfe-Webseite: