Der neue Ministerpräsident in Äthiopien, Abiy Ahmed, steht für Veränderung. Seine Reformen haben viele positive Entwicklungen in Gang gesetzt und für eine neue Aufbruchsstimmung nach mehr als zwei Jahrzehnten der Unterdrückung gesorgt. Doch die ethnischen Konflikte im Land gehen weiter und könnten zu einer humanitären Katastrophe führen.
Text: Charlotte Kossler
Am Horn von Afrika bewegt sich etwas. Die Friedensanstrengungen zwischen Äthiopien und Eritrea lassen viele Bewohner in der Region hoffen. Anfang Juli haben die Staatschefs der beiden verfeindeten Nachbarländer ihren 20 Jahre lang schwelenden Konflikt beigelegt und eine Friedenserklärung unterschrieben. Die Aussöhnung ging von Äthiopiens neuem Ministerpräsidenten Abiy Ahmed aus. Er kündigte bereits kurz nach seinem Amtseintritt an, die äthiopischen Truppen aus dem Gebiet zurückzuziehen, auf das beide Länder Anspruch erhoben.
Hoffnungsträger gegen Desinformationen und Folter
Abiy Ahmed gilt als Hoffnungsträger für Äthiopien und die Region. Mit ihm wurde die Vorherrschaft der Tigray, einer Minderheit im Vielvölkerstaat, gebrochen. Wie ist es den Tigray trotz der Minderheit gelungen, die Macht im Land zu sichern? Die Antwort: Propaganda. Während der 27-jährigen Amtszeit der Einheitspartei Ethiopian Peoples Revolutionary Democratic Party (EPRDF) nutzten sie gezielte Desinformationen und bauten dadurch Gräben zwischen vielen ethnischen Gruppen. So auch die Feindseligkeiten zwischen den Amharen und den Oromo, den beiden größten Gruppierungen.
Doch damit nicht genug: Besonders die vergangenen drei Jahre waren von schweren Menschenrechtsverletzungen und Folter geprägt. Es kam immer wieder zu Massendemonstrationen gegen die autoritäre Regierung, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Hunderte Menschen wurden getötet und Tausende festgenommen.
Staatliche Medien in Äthiopien: Nachrichten statt Propaganda
Abiy Ahmed ist nun der erste Ministerpräsident seit mehr als zwei Jahrzehnten, der zu der Volksgruppe der Oromo gehört. Direkt nach seiner Wahl entließ er die Hardliner aus seinem Kabinett und setzte stattdessen auf Vielfalt – so sind die drei größten Ethnien allesamt in der Staatsführung vertreten. Unter der neuen Regierung wurden politische Gefangene wieder freigelassen, darunter auch Journalisten, die seit Jahren ohne Prozess inhaftiert waren.
Fast alle erzählen, dass sie mit grausamen Methoden gefoltert wurden. Einige haben davon dauerhafte körperliche Verletzungen und Behinderungen erlitten. Die staatlichen Medien können unter der neuen Führung wieder frei berichten anstatt gewaltschürende Propaganda zu verbreiten. Die äthiopische Bevölkerung nutzt das Radio und Fernsehen auch wieder, um Nachrichten zu hören. Vorher diente es lediglich zu Unterhaltungszwecken.
Doch die Konflikte dauern an
Trotz der vielen positiven Entwicklungen seit Ahmeds Amtseintritt im April 2018 und dem Friedensschluss mit Eritrea gibt es immer noch zahlreiche Konflikte im Land, die humanitäre Hilfe erfordern. Vor allem ethnische Gruppen geraten weiterhin immer wieder aneinander. Die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Ethnien – verursacht durch die jahrzehntelange Propagandapolitik der Tigray – sind immer noch enorm und führen zu teils heftigen Auseinandersetzungen.
Streitgründe sind oftmals die knappen Ressourcen und die Nutzung von Weideland. Hinzu kommt, dass lokale Beamte, Polizisten und Oppositionelle die Konflikte zusätzlich weiter befeuern und zur Eskalation dieser beitragen. Sie befürchten durch den Kurswechsel ihre politische Stellung zu verlieren und provozieren immer wieder Kämpfe zwischen den ethnischen Gruppen, um ihre Position halten zu können.
Mehr als eine Million Menschen wurden in Folge der bewaffneten Konflikte innerhalb ihres eigenen Landes bereits heimatlos. Alle können sich nicht sicher sein, ob sie jemals in ihre Heimatregion zurückkehren können. Unter den Flüchtlingen sind auch viele Kinder, die durch die Vertreibung nicht zur Schule gehen können. Die betroffenen Städte und die Regionalregierung sind mit der Vielzahl an Binnenflüchtlingen überfordert und können den Flüchtenden nur notdürftige Unterkünfte zur Verfügung stellen. Viele müssen in öffentlichen Gebäuden auf engstem Raum übernachten. Es fehlt an Nahrungsmitteln und angemessener Kleidung. Vor allem in Süd-Äthiopien wird die Lage zunehmend kritisch.
Äthiopien: Die Kindernothilfe und ihre Partner helfen
Die Kindernothilfe leistet über ihre lokale Partnerorganisation humanitäre Hilfe in den betroffenen Regionen im Süden Äthiopiens. Im Zuge dessen wurden unter anderem Nahrung und die gesundheitliche Versorgung für 1.160 Kinder sichergestellt. 750 Kinder erhalten außerdem Schulmaterial, Schuluniformen und Kleidung, 230 unterernährte Kinder unter fünf Jahren bekommen Zusatznahrung und ihre Mütter Ernährungsberatung. Außerdem errichtet die Kindernothilfe ein Kinderschutzzentrum stellt Wasser und Sanitäranlagen bereit. Darüber hinaus ist langfristig ein Projekt in Bishoftu für die Kinder von Geflüchteten, die vor dem Konflikt an der Grenze zwischen der Oromia- und der Somali-Region geflohen sind, geplant.