Mit elf Jahren zieht Lamech Gunasekaran als Patenkind in ein Schülerwohnheim der Kindernothilfe in Arupukottai im Bundesstaat Tamil Nadu, Indien. Knapp 25 Jahre später gründet er den Calvary Chapel Trust und gibt seitdem Aidswaisen und mit HIV-infizierten Kindern Heimat und Zukunft. Bei einem Besuch in unserer Geschäftsstelle in Duisburg berichtet er mit viel Herzblut über seine Arbeit.
Text: Lorenz Töpperwien
Lamech Gunasekaran erinnert sich noch gut an seine erste Begegnung mit „Mr. Lüers“. Damals, 1967, besuchte Lüder Lüers, einer der Gründer der Kindernothilfe, das Schülerwohnheim in Indien und spielte mit ihm und den anderen Patenkindern des Wohnheims Volleyball. Dass daraus einmal eine lebenslange Verbundenheit werden würde, konnte damals niemand ahnen.
Schwierige Kindheit in Indien
Gunasekaran war zu jenem Zeitpunkt 13 Jahre alt und hatte schon eine bewegte Kindheit hinter sich. Den Vater hatte er nie kennengelernt, seit dem 5. Lebensjahr wuchs er bei den Großeltern auf. Seine Mutter hatte ein zweites Mal geheiratet, und der Stiefvater wollte nichts von dem Kind wissen. Um die Großeltern zu unterstützen, brach der Junge nach der 5. Klasse die Schule ab und arbeitete als Ziegenhirt.
Schließlich brachte die Aufnahme im Schülerwohnheim die Wende: Als Patenkind konnte er dank seiner deutschen Pateneltern wieder zur Schule gehen und später in Indien studieren. Heute ist er Sozialarbeiter und Pastor. Seine eigentliche Berufung aber ist der Calvary Chapel Trust (CCT), eine Hilfsorganisation, die er 1989 selbst gegründet hat.
„Loving the Unloved“ – Unterstützung für ausgegrenzte Kinder
„Gods programme“ – Gottes Werk nennt er das umfangreiche Hilfsprojekt, das er in 30 Jahren aufgebaut hat. In mittlerweile 21 Zentren, die über ganz Indien verteilt sind, betreut der CCT 800 Patenkinder. Die meisten von ihnen haben ihre Eltern verloren, mehr als die Hälfte sind mit HIV infiziert, und alle stammen aus armen Verhältnissen. Die Zentren sind für sie Wohnung, Familie und Ausbildungsort zugleich.
Besonders die HIV-Patienten leiden aufgrund ihrer Immunschwäche unter gesellschaftlicher Ausgrenzung. Ihnen ermöglicht der CCT den Schulbesuch samt Berufsausbildung – abgesehen von Handwerksberufen liegt der Schwerpunkt auf Gartenbau und Viehhandel – und bietet ihnen anschließend einen Arbeitsplatz innerhalb der Organisation. Die gesunden Kinder werden zusätzlich auf Ausbildungsplätze in Pflegeberufen vermittelt.
Staatlich denkbar unabhängig
Außerhalb der Kinderzentren kümmert sich der CTT um rund 4.000 weitere HIV-Infizierte, die Mehrheit davon Kinder. Sie werden medizinisch versorgt, erhalten psychologische Betreuung und können sich auch in allen sonstigen Belangen an die Mitarbeiter der Organisation wenden.
Durch die intensive Zusammenarbeit mit Kirchen in allen Teilen Indiens kommen mittlerweile rund 30 Prozent der Spenden für CTT aus Indien. Außerdem finanziert sich die Organisation über Spenden aus Deutschland und den USA. Staatliche Hilfsgelder will Gunasekaran nicht annehmen, um die Unabhängigkeit der Stiftung nicht zu gefährden. Schulstipendien der öffentlichen Hand akzeptiert er hingegen gerne, weil sie direkt der Bildungsarbeit zugute kommen.
Staatliche Behörden sind es auch, die die Waisen an die CTT-Kinderzentren vermitteln. Darüber hinaus verfügt die Hilfsorganisation über indienweite Kontakte zu Hilfswerken mit dem Schwerpunkt HIV und Aids. Kaste oder Religionszugehörigkeit spielen für CTT keine Rolle. Gleichzeitig macht Lamech Gunasekaran keinen Hehl daraus, dass er sich aus christlicher Überzeugung um seine ihm anvertrauten Patenkinder kümmert.
Zurückgeben, was ihm zuteil wurde
Und noch etwas treibt ihn an: die tiefe Dankbarkeit für die Hilfe, die er selbst erfahren hat, und der dringende Wunsch, nun seinerseits Kindern zu helfen, die sonst keine Chance hätten, etwas aus ihrem Leben zu machen.
Zurückgeben, was ihm zuteil wurde – darum dreht sich seit mittlerweile 30 Jahren sein ganzes Leben. Seine Frau und die drei Söhne helfen ihm tatkräftig dabei. Sein Besuch in Deutschland ist zudem ein Abschied: Er ist eigens angereist, um an der Beerdigung seines langjährigen Paten aus Kindertagen teilzunehmen. Das nutzt er zugleich für ein Wiedersehen mit Lüder Lüers: Das „Patenkind von damals“ zählt Lüers heute zu seinen ältesten Freunden.