Willkommen sein – dieses Gefühl kannten die Mananwa lange Zeit nicht. Als Angehörige einer kleinen Volksgruppe gehören sie auf den Philippinen zu den Außenseitern. Für einige Mananwa-Familien, die seit drei Generationen versuchen, auf der Insel Samar Fuß zu fassen, ändert sich das gerade: Sie haben endlich eine Heimat gefunden. Erreicht haben das die Frauen. Diese nehmen ein in einer Selbsthilfegruppe die Zukunft ihrer Familien beherzt in die Hand.
Text: Lorenz Töpperwien
Erst vor wenigen Wochen sind die Mananwa-Familien in Lohero vor Anker gegangen. Vier Pfahlhütten stehen schon, eine fünfte ist im Bau. Es gibt ein paar sorgfältig angelegte Beete, ein niedriger Zaun umschließt das Gelände, an der Leine hängt Wäsche. Ein ganz normaler Alltag in einem ganz normalen philippinischen Dorf, so sieht es jedenfalls aus. Aber als die Frauen aus den Philippinen anfangen zu erzählen, wie sie hierhergekommen sind, wird schnell klar, dass diese Familien einen langen Weg hinter sich haben.
Seit rund 50 Jahren sind sie auf der Wanderschaft. Damals flohen ihre Eltern und Großeltern aus Mindanao, der großen Insel ganz im Süden der Philippinen. Dort lebte die Volksgruppe der Mananwa schon, lange bevor der erste spanische Eroberer seinen Fuß in das Land setzte. Doch seit einem halben Jahrhundert ist Mindanao Schauplatz eines bewaffneten Konflikts zwischen muslimischen Rebellen und der Armee. Die Mananwa hatten Angst, in den Strudel der Gewalt hineingezogen zu werden. Manche suchten deshalb ihr Heil in der Flucht – eine Odyssee mit ungewissem Ausgang.
Raketenstart in die Zukunft
„Als wir sie das erste Mal trafen, haben sie kein Wort geredet“, sagt Ken Cacao. Für die Kindernothilfe koordiniert er die Hilfsmaßnahmen nach den verheerenden Zerstörungen durch den Taifun Haiyan 2013. Auch die Mananwa-Familien waren betroffen. Vor fünf Jahren lebten sie noch in einer abgelegenen Siedlung im hügeligen Hinterland von Marabut. Ein Streit mit einem Dorfbewohner zwang sie, wieder hinunter in die Ebene zu ziehen.
Seither geht es bergauf mit ihnen. Das hat vor allem mit der Selbsthilfegruppe zu tun, die die Frauen der Gemeinschaft gründeten. Die wirkte wie ein Raketenstart in die Zukunft. Unter der Anleitung des Kindernothilfe-Partners PKKK (die philippinische Abkürzung steht für „Nationale Koalition der Landfrauen“) entdeckten sie etwas, wovon sie vorher keinerlei Vorstellung hatten: ihre Rechte. Sie erkannten den Wert von Bildung. Und sie hörten auf, sich minderwertig zu fühlen und unsichtbar zu machen, wenn andere in ihre Nähe kamen.
Und siehe da, man hört ihnen zu. Der Bürgermeister von Marabut stellte ihnen Land zur Verfügung, zum Wohnen und für die Feldarbeit. Und nicht nur das – sie hatten bei der Auswahl des Grundstücks sogar ein Mitspracherecht. Es liegt nicht weit von der Stadt entfernt. Früher wäre das ein Grund zur Vorsicht gewesen, heute jedoch erleichtert die stadtnahe Lage die Organisation des neuen Lebens. So kommen die Mananwa erstmals in den Genuss der öffentlichen Gesundheitsversorgung und müssen nicht wie bisher auf ihre Kräutermedizin vertrauen. Auch Ehen mit Partnern außerhalb der Familiengemeinschaft sind jetzt denkbar.
Padayon auf den Philippinen – „Weiter so“!
Aber wer verhandelt mit dem Bürgermeister? Mit dem lokalen Amt für Landwirtschaftsfragen? Mit den Gesundheitsdiensten? „Wir!“, sagen die Frauen wie aus einem Mund. Sie sind nicht mehr sprach- und rechtlos, denn die Selbsthilfegruppe ermutigt sie, selbstbewusst ihre Interessen zu vertreten. In nur vier Jahren haben sie das Kunststück fertiggebracht, sich und ihre Familien erfolgreich zu integrieren – nachdem sie ein halbes Jahrhundert lang versucht hatten, bloß nicht aufzufallen. Sie sind zu Recht stolz auf das Erreichte. Und sie können wieder lachen. „Padayon“, sagen sie sich: „Weiter so!“