Schwer vorstellbar, aber Frauenpower ist auch dort, wo Machismo fest in den Gesellschaftsstrukturen verankert ist, tatsächlich möglich. Genau das hat die Österreicherin Ilse Kreiner während ihrer mehrmonatigen Aufenthalte in Peru selbst er- und gelebt.
Text: Katharina Huber, Kindernothilfe Österreich, Fotos: Ilse Kreiner und Kindernothilfe-Partner
Ein bisschen etwas vom eigenen Glück zurückgeben
Schon lange gab es den Wunsch nach einer „sinnvollen“ Tätigkeit, um etwas vom Glück zurückzugeben, das ihr selbst widerfahren war. 2010 bot sich Ilse Kreiner dann die Gelegenheit zu ihrem ersten ehrenamtlichen Einsatz in Peru. Seit damals engagiert sie sich regelmäßig in der südamerikanischen Andenrepublik, und unterstützt die lokalen Kindernothilfe-Partnerorganisationen IINCAP „Jorge Basadre” (Instituto de INvestigación y CApacitación Profesional) in Cajamarca beziehungsweise Aynimundo in Lima.
Eine Frau setzt sich für Frauenpower ein
Die mittlerweile pensionierte Betriebswirtin gibt Kindern Nachhilfe in Mathematik, Lesen oder Englisch. Sie spricht mit ihnen auch über ihre Rechte, Gewalt in der Familie oder ethische Werte. Daneben besucht sie Familien und stärkt in den Eltern das Bewusstsein für Schulbildung. Außerdem organisiert sie Workshops für ambitionierte Jungunternehmerinnen jeden Alters aus mittellosen Verhältnissen. Gemeinsam mit den überwiegend weiblichen Teilnehmern bereitet sie den Gang in die Selbstständigkeit vor und stärkt so Frauenpower in Peru. Hinter all dem steht die tiefe Überzeugung, dass Schulbildung elementar wichtig ist. Und, dass ihr Leben ganz anders verlaufen wäre, hätte sie selbst niemals eine ordentliche genießen können.
Mehr als nur Schulbildung
„Ich hatte das Glück, dass meine Mutter, obwohl selbst bildungsfern, verstanden hat, wie wichtig Bildung ist. Sie hat daher immer darauf gedrängt, fast genervt, dass ich zur Schule gehe, etwas lerne und gute Noten habe. Da sie alleinerziehend und ohne Beruf war, war sie auf Organisationen und Menschen angewiesen, die sie finanziell unterstützt haben. Denn Schule kostet nun mal viel Geld. Diese Menschen haben auch dafür gesorgt, dass ich an den Schulaktivitäten teilnehmen konnte. Dadurch haben sie verhindert, dass der Effekt von Kinderarmut für mich eingetreten ist: nämlich, dass ich als armes Mädchen nicht am sozialen Leben der Gleichaltrigen teilnehmen konnte. Denn wenn es hinten und vorne an Geld fehlt, dann werden den Mädchen und Jungen die Möglichkeiten genommen, sich in Gruppen abseits ihres familiären Dunstkreises einzufinden. Sie sind immer wieder nur mit Kindern aus anderen ganz armen Familien zusammen und haben keine Chance, in die Gesellschaft insgesamt integriert zu werden. Das zeigt, wie wichtig finanzielle Unterstützung ist.“
Soziale Ungleichheit mindern
Gerade im ruralen Peru, aber auch der Hauptstadt, wird ein großer Unterschied gemacht, je nachdem aus welcher Bevölkerungsschicht man kommt. Eine Art der informellen Klassengesellschaft ist nicht außergewöhnlich. Im Gegenteil, „einmal abgestempelt, ist es schwer, sich aus dieser Schubladisierung wieder zu befreien. Dadurch haben die Kinder kaum Möglichkeit, ihre Zukunft selbstbestimmt ohne Unterstützung von außen zu gestalten.“
Genau diese Aufgabe verfolgt Ilse Kreiner, wenn sie für mehrere Monate im Jahr mit den Eltern redet, ihnen immer wieder vor Augen führt, welche Auswirkungen ihre eigenen Handlungen auf die Zukunft ihrer Kinder haben, und ihnen erklärt, wie wichtig Bildung vor allem für ihre Töchter ist. Gerade in Cajamarca, aber auch in Lima, gibt es eine Menge Familien, denen man wiederholt erklären muss, wie wichtig Bildung für ihre Kinder ist und vor allem, warum.
Kinder brauchen starke Mütter
Peru ist nach wie vor männerdominiert, deshalb stehen Frauen im Fokus der Arbeit vor Ort. Es ist äußerst wichtig, mit den Müttern zu arbeiten, damit sie genügend Selbstbewusstsein entwickeln. Dann trauen sie sich zumindest in „ihren“ Belangen (Familie, Kinder und Haushalt), etwas zu sagen und ihre Meinung so zu vertreten, dass sie auch eine Chance auf Durchsetzung hat. Das ist nicht nur für sie selbst von großer Bedeutung, sondern auch und vor allem für ihre Töchter. Damit nicht einfach passieren kann, was tagtäglich passiert: Die 16-jährige Yolanda* ist mit der Schule fertig. Sie ist am besten Weg, eine selbstständige, junge Frau zu werden und möchte den Beruf der Krankenschwester erlernen. Aber ihr Vater hat entschieden, dass sie als Hausmädchen in einer wohlhabenderen Familie Geld verdienen müsse. Außerdem meint er, dass es überflüssig wäre, noch mehr zu lernen. Yolandas Mutter war es offenbar trotz gegenteiliger Meinung nicht gelungen, das zu verhindern. Die Entscheidung ist gefallen und die Stimme des Mädchens und ihrer Mutter war nicht gehört worden.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Eine intensive Arbeit mit den Müttern über längere Zeit hinweg bewirkt hingegen, dass das Selbstbewusstsein in den Frauen geweckt und gestärkt wird. Diese Art der „Frauenpower“ versetzt sie in die Lage, ihren Kindern den Schutz zu ermöglichen, den sie brauchen. Sie verinnerlichen, was wichtig ist und geben diese Einstellung auch weiter. Dadurch schaffen sie die notwendige Voraussetzung, dass ihre Kinder im Moment der Entscheidung, diese auch treffen. Und soweit wie möglich auch durchsetzen.
Ohne Frauenpower geht es nicht
Was im Kleinen beginnt, kann große Kreise ziehen und strukturelle Veränderungen auch in jenen Teilen der Welt begünstigen, in denen Frauen im Moment noch wenig bis gar nichts zu sagen haben. Davon ist zumindest die ehrenamtliche Kindernothilfe-Mitarbeiterin Ilse Kreiner überzeugt: „Frauen bringen – ganz allgemein gesprochen – die Gesellschaft voran. Daher braucht die Gesellschaft starke und selbstbewusste Frauen, um einen Wandel in irgendeine positive Richtung zu ermöglichen. Ich bin der Auffassung, dass das ohne Frauenpower nicht geht.“
Yolanda: *Name geändert