Unsere philippinische Partnerorganisation SIKAT setzt sich seit zehn Jahren für ein stärkeres Selbstbewusstsein von Frauen ein. Denn Frauenpower kann die Lebensumstände von Familien, Dörfern und ganzen Kommunen verbessern und somit Armut bekämpfen. Vor allem nach dem verheerenden Taifun Haiyan werden auf den Philippinen mehr Selbsthilfegruppen für Frauen gegründet. Unsere Korrespondentin Jenifer Girke hat mit Betroffenen und einer Hilfsorganisation vor Ort gesprochen.
Text und Fotos: Jennifer Girke
Es war der 8. November 2013. Die meisten Bewohner in der philippinischen Provinz Guiuan waren zu Hause. Sie fischten auf See oder lernten in der Schule. Viele hatten die Warnungen nicht ernst genug genommen, schließlich sind sie heftige Naturkatastrophen gewohnt. Doch “Haiyan”, oder “Yolanda”, wie ihn die Einheimischen nennen, war anders. Er war stärker, grausamer und brutaler. Der Taifun zerstörte mit einer Geschwindigkeit von 379 km/h alles, was seiner Wucht nicht standhalten konnte. Richelles Zuhause hielt auch nicht stand: “Evakuiert?”, fragt die 33-Jährige mit einem ironischen Lächeln, “Nein, wir wurden hier nicht weggebracht, wir wurden auch nicht gerettet. Wir blieben einfach zu Hause.”
Richelle, ihr Mann und die vier Kinder überlebten den Taifun, aber das wirkliche Überleben begann danach: “Nach dem Taifun hatten wir nichts mehr – kein Essen, kein Zuhause, keine Kleidung. Ich wusste wochenlang nicht, was ich meinen Kindern zu essen geben sollte. Selbst wenn wir Geld gehabt hätten, gab es nichts zu kaufen.
Hilfe für die abgelegenen Inseln
Viele lokale Hilfsorganisationen konzentrierten sich in den ersten Tagen nach Haiyan auf die Festland-Gebiete rund um die Stadt Tacloban. Sozialarbeiter berichten sogar davon, dass sich einige Nichtregierungsorganisationen weigerten, entsprechende Hilfe auf entferntere Inseln zu bringen. Das Risiko eines weiteren Taifuns sei zu groß. Doch einen Plan zur Umsiedlung gab und gibt es bis heute nicht. Die Begründung: Es fehle das Geld. Die Folge: Gebiete wie die Inseln Victory Island oder Camparang, auf der auch Richelle lebt, wurden sich selbst überlassen. Das Einzige, was es gab, war flächendeckende Armut.
Selbstbewusstsein und ein guter Plan sind wichtig
Wir sind mit unserer Partnerorganisation SIKAT schon jahrelang in der Provinz Guiuan im Einsatz. Dabei handelt es sich nicht nur um Soforthilfe und Sicherstellung einer grundsätzlichen Versorgung. Denn entscheidend für Menschen wie Richelle ist vor allem eines: Glaube an sich selbst und neuer Mut. Ohne Selbstbewusstsein und einen guten Plan, von dem die Betroffenen selbst überzeugt sind, nützen Geldspenden nur bedingt etwas. “Wir wollen in die Zukunft dieser Menschen investieren. Sie sollen nicht abhängig sein von fremden Geld. Sie müssen sich vielmehr ihr eigenes Geld verdienen”, erklärt der philippinische Kindernothilfe-Mitarbeiter Ken Cacao, der für die Region Samar zuständig ist.
Kampf gegen Armut: „Pagkakaisa“ bei den Frauen schaffen
Die erste Selbsthilfegruppe gründete die Kindernothilfe in der Kommune San Juan südwestlich von Manila. Sie trägt den Namen “Pagkakaisa”, das bedeutet “Einigkeit”. Genau das ist das Ziel: Einigkeit schaffen, in der Familie, dem Dorf, der Kommune. Die Kindernothilfe-Koordinatorin auf den Philippinen, Daryl Leyesa, ist von dem Konzept überzeugt: “Es ist ein sehr effektiver Ansatz, der auf Stärkung der Menschenrechte basiert. Wir richten uns stets nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Menschen vor Ort.” Nach zehn Jahren ist sehr deutlich, dass dieses Konzept Früchte trägt. Die Beteiligten erhalten eine neue, hoffnungsvolle Perspektive: “Die Selbsthilfegruppen richten sich an die Ärmsten unserer Gesellschaft. Sie zeigen ihnen, wie sie sich selbst stärken und damit aus der Armut befreien können”, so Leyesa.
Der Umgang mit Naturkatastrophen muss effektiver werden
Außerdem brauchte es dringend ein neues Bewusstsein für Katastrophenschutz und Prävention. Das ist es, was vor allem Ken Cacao in seiner täglichen Arbeit in diesen Gebieten antreibt. Er kümmert sich seit dem Taifun um die am stärksten betroffenen Gemeinden und besucht regelmäßig die Treffen der Selbsthilfegruppen: “In allererster Linie geht es uns hier um die Stärkung der Gemeinschaft. Wenn diese Frauen lernen und verstehen, wie viel sie in ihrer eigenen Hand haben, dann entwickelt sich ein ganz neues Selbstbewusstsein. Und das stärkt das ganze Dorf. Ein gestärktes Dorf kann nicht nur Probleme wie Armut besser bekämpfen, sondern auch effektiver mit Naturkatastrophen umgehen. Das ist überlebenswichtig.”
Dass sich dieser Appell zunächst an Frauen richtet, ist eine logische Schlussfolgerung der gesellschaftlichen Situation. Der Grund: Frauen werden auf den Philippinen nach wie vor als minderwertige Bürger angesehen. Sie erfüllen lediglich Aufgaben innerhalb der Familie. Deswegen sind es die Frauen, die oft unentdecktes Potenzial haben, aber nicht den Glauben daran, es auch nutzen zu können. Frauenpower ist also ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Mit Frauenpower: Richelles Schritt in eine positive Zukunft
So auch Richelle. Mit diesem neu geschöpften Antrieb hat sie sich ein kleines Geschäft zu Hause aufgebaut: “Ich habe vier Kinder zu Hause. Ich kann also nicht weit wegfahren, um zu arbeiten. Aber dann dachte ich mir: Wenn ich nicht zur Arbeit kann, hole ich mir die Arbeit eben nach Hause.” Das Startkapital dafür konnte sie sich aus dem Fond der Selbsthilfegruppe leihen. Man merkt, dass dieses Gefühl von ‘Ich kann auch etwas!’ auf den Philippinen noch ganz neu ist. Aber eines ist sicher: Es steht den Frauen richtig gut!