Ein deutsches Sorgfaltspflichtengesetz muss her, das Unternehmen verbindliche Rechtsnormen für ihre globalen Lieferketten vorschreibt und dabei die Kinderrechte in den Fokus rückt! Das fordert die Kindernothilfe gemeinsam mit anderen Kinderrechtsorganisationen in einem heute veröffentlichten Positionspapier.
Von Lea Kulakow
Ob Schokolade, Kleidung oder Smartphones – zu oft entscheidet der Preis, was wir am Ende kaufen. Die Frage nach den globalen Lieferketten der Ware – woher kommt sie, von wem und vor allem unter welchen Bedingungen wird sie gewonnen und schrittweise zum Endprodukt weiterverarbeitet – gerät dabei leicht in den Hintergrund. Und das, obwohl es sehr viele Beispiele für Menschen- und Kinderrechtsverletzungen im weltweiten Warenverkehr gibt. Zum Beispiel Kinderarbeit im Kakaosektor. Zum Beispiel unerlaubter Pestizideinsatz auf großen Plantagen, der zur langfristigen Verschmutzung der Umwelt führen kann. Oder auch ausbeuterische Bedingungen in der Textilindustrie, die Arbeiterïnnen Löhne unterhalb des Existenzminimums zahlt.
Wer global handelt, muss auch global Verantwortung übernehmen
Globale Lieferketten – damit sind die Wege und Stationen gemeint, die die einzelnen Bestandteile eines Produktes bis zu seiner Fertigstellung zurücklegen: vom Abbau der natürlichen Rohstoffe über die Produktion und Fertigung in städtischen Fabriken bis zum Transport nach Europa und anderswohin.
Insbesondere die letzten Monate unter dem Eindruck der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie weitgehend wirtschaftliche Beziehungen weltweit miteinander verwoben sind – und wie abhängig wir in Deutschland und Europa von deren einwandfreiem Ablauf sind. Durch den Stillstand infolge der Pandemie wurden viele Aufträge storniert oder bereits produzierte Waren nicht mehr angenommen.
Unter Jobverlust und Lohnkürzungen leiden überwiegend die Arbeiterïnnen in den Produktionsländern – und ihre Kinder! Schutzmechanismen und Sozialpakete wie in Europa gibt es dort kaum. Aktuellen Schätzungen zufolge könnten 86 Millionen Kinder zusätzlich bis zum Ende des Jahres in Armut geraten, weil die Unterbrechung der globalen Lieferketten sie zum Arbeiten beziehungsweise zum Abbruch ihrer Schuldbildung drängt. Die dadurch verursachte wirtschaftliche und soziale Krise zeigt einmal mehr: Wer global handelt, muss auch global Verantwortung übernehmen!
Eine Selbstverpflichtung der Unternehmen reicht nicht aus
Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschrechte (NAP) befragte die Bundesregierung von 2018 bis 2020 rund 3.300 Unternehmen nach der Einhaltung der Sorgfaltspflicht im Hinblick auf Menschrechte und soziale und ökologische Mindeststandards. Die Ergebnisse dieser Untersuchung Anfang des Jahres sind ein ernüchternder Beleg dafür, dass die bisherige, auf Freiwilligkeit beruhende Selbstverpflichtung nicht ausreicht.
Nur 465 Unternehmen haben den Fragebogen überhaupt ausgefüllt. Von diesen erfüllen nur 13 bis 17 Prozent die Vorgaben. Das heißt, die große Mehrheit von 83 bis 87 Prozent übernimmt in ihren Lieferketten keine ausreichende Verantwortung für die Einhaltung von Menschen- und Kinderrechten. Das politische Ziel – mindestens die Hälfte der Unternehmen setzt grundlegende Menschenrechtsstandards um – ist damit weit verfehlt. Auch die rund 10 bis 12 Prozent der „Nichterfüller“, die sich laut Untersuchung „auf einem guten Weg“ befinden, ändern daran wenig.
Ohne Gesetz bleiben Menschenrechte in Lieferketten auf der Strecke
Deshalb braucht es dringend eine gesetzliche Verpflichtung mit klar definierten Haftungsregelungen, damit Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) treten seit Monaten für ein Gesetz ein, dass Firmen dafür verantwortlich macht, wenn es bei der Herstellung ihrer Produkte zu Menschenrechts- oder Kinderrechtsverletzungen beziehungsweise Umweltzerstörungen kommt.
Kritiker einer gesetzlichen Regelung der Lieferketten befürchten unverhältnismäßig hohe bürokratische Hürden und unfaire Wettbewerbsbedingungen, vor allem im Hinblick auf eine strafrechtliche Haftung. Befürworter wiederum sehen einen klaren Wettbewerbsvorteil, sollte Deutschland mit einem umfassenden Gesetz eine Vorreiterrolle einnehmen. Weitere Streitpunkte, die den Gesetzesentwurf verzögern, betreffen etwa die Größe der Unternehmen als Kriterium für haftungsrelevante Fragen.
Im Rahmen der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft könnte ein Lieferkettengesetz sogar andere Länder zur Nachahmung motivieren. In den Niederlanden oder Frankreich gibt es bereits solche Gesetze, etwa mit dem Schwerpunkt auf Kinderarbeit in globalen Lieferketten. Auch die Schweiz will Ende Oktober über eine entsprechende Gesetzesvorlage abstimmen.
Mangelnde Verantwortung in Lieferketten schadet vor allem Kindern
Die Kindernothilfe und zahlreiche Organisationen aus der Zivilgesellschaft unterstützen die Forderungen der beiden Minister. Gerade Kinder leiden unter verantwortungslosem unternehmerischem Handeln – oft sogar deutlich stärker und nachhaltiger als Erwachsene. Das gilt nicht nur für Kinderarbeit, sondern auch für Umweltverschmutzungen und Schadstoffbelastungen, die Kinder aufgrund ihrer Größe und körperlichen Entwicklung besonders gefährden.
Indirekte Auswirkungen auf das Kindeswohl müssen ebenfalls ins Blickfeld rücken. Durch zu niedrige Löhne verdienen Arbeiterïnnen oft nicht genug, um Bildungs- und Gesundheitsausgaben für ihre Kinder zu finanzieren, was wiederum Kinder in die Kinderarbeit treibt. Fehlende Betreuungsmöglichkeiten während der Arbeitszeit der Eltern setzen vor allem kleinere Kinder Gefahren aus: Entweder sie verbringen die Zeit unbeaufsichtigt oder sie begleiten die Eltern zum Arbeitsplatz – eine Notlösung, die ihrerseits in Kinderarbeit münden kann.
Kinderarbeit gesetzlich regeln, fordern Kinder und Jugendliche
Nicht nur die Kindernothilfe sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, sondern auch betroffene Kinder und Jugendliche selbst. Im Rahmen der internationalen Advocacy-Kampagne „It´s Time to Talk! – Children´s Views on Children´s Work“ formulierten das die Repräsentantïnnen Kesia und Fausa auf dem Global Child Forum in Schweden so:
„Die Regierung muss auch ein Gesetz zur Kinderarbeit erlassen, das Regeln für den Unternehmenssektor enthält, um sicherzustellen, dass sie Kinder vor schädlicher Arbeit und Missbrauch schützt und nicht ausbeutet. Unternehmen sollten Kindern nicht erlauben, gefährliche oder schwere Arbeit zu verrichten. Kinder sollten nicht ausgebeutet werden – von Mädchen und Jungen sollte nicht verlangt werden, lange oder zu niedrigen Löhnen zu arbeiten. Wenn wir arbeiten, sollten wir faire Löhne erhalten und die Arbeitsbedingungen sollten verbessert werden.“
Unsere Forderung: Gesetz zu Lieferketten noch in dieser Legislaturperiode
Die Kindernothilfe fordert die Bundesregierung dazu auf, noch in dieser Legislaturperiode ein umfassendes und wirksames Sorgfaltspflichtengesetz zu verabschieden. Darin müssen Unternehmen dazu verpflichtet werden, die in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieften Rechte entlang der globalen Lieferketten zu achten, Risiken und Folgen systematisch zu erheben und zu bewerten und öffentlich über ebendiese Risiken und dagegen ergriffene Maßnahmen zu berichten.
Darüber hinaus braucht es Präventions- und Abhilfemaßnahmen, um Menschen- und Kinderrechtsverletzungen zu verhindern. Insbesondere Beschwerdemechanismen müssen auch für jugendliche Arbeitnehmer*innen zugänglich sein. Um unseren Forderungen Gewicht zu verleihen, haben wir gemeinsam mit Human Rights Watch, Plan International, Save the Children, terre des hommes, UNICEF und World Vision ein ausführliches Positionspapier veröffentlicht: „Kinderrechte und Unternehmerische Sorgfaltspflichten – Ein Gesetz zum Schutz von Menschenrechten in Lieferketten aus kinderrechtlicher Perspektive“. Was das Positionspapier beinhaltet, ist hier zusammengefasst.