Am 26. Juni 1945 unterzeichneten damals 50 Staaten die Charta der Vereinten Nationen. Die gemeinsamen Ziele: Durch internationale Kooperation soziale und humanitäre Krisen bewältigen, global für Menschenrechte eintreten und den Weltfrieden sichern. Wie genau steht es 75 Jahre später um die Erfüllung dieser Ziele, denen sich mittlerweile 193 Staaten verschrieben haben? Und welchen Stellenwert hat der Schutz von Kindern und Jugendlichen? Darum geht es in dieser kurzen Beitragsreihe anlässlich des 75. UN-Jubiläums. Teil 1 widmet sich dem Sicherheitsrat: „Die Handlungsunfähigkeit nimmt zu“.
Text: Markus Aust
Mission Weltfrieden – doch die Realität sieht anders aus
Der Sicherheitsrat bildet eines der sechs Hauptorgane der Vereinten Nationen und gilt für viele Experten als wichtigste Institution innerhalb der UN. Mehr noch: viele schreiben ihm sogar die Rolle des „mächtigsten Gremiums der Welt“ zu.
Das liegt an seiner Kernfunktion innerhalb der UN-Charta: In Artikel 24 übertragen die Vereinten Nationen dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens sowie der internationalen Sicherheit. Als einziges Gremium darf er völkerrechtlich verbindliche Maßnahmen ergreifen, die von wirtschaftlichen Sanktionen bis zum Einsatz von militärischen Streitkräften im Rahmen von Friedensmissionen reichen.
Die Bilanz nach mittlerweile 75 Jahren Friedenssicherung durch den Sicherheitsrat: Ende 2019 sind fast 80 Millionen Menschen aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewaltanwendung oder sonstigen Verletzungen der Menschenrechte aus ihren Heimatorten vertrieben worden – eine nie dagewesene Zahl, die ungefähr der bundesdeutschen Bevölkerung entspricht. Die meisten sind im eigenen Land auf der Flucht. Die Grenze zu einem anderen Land – meist einem Nachbarland – haben fast 30 Millionen Vertriebene überschritten. Etwa die Hälfte der Geflüchteten sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Hunderttausende von ihnen sind unbegleitet auf der Flucht.
Das Vetorecht: Die Macht der Neinsager
Wie kann das sein, wo doch seit Jahrzehnten eine mächtige Institution existiert, um dem entgegenzuwirken? Und noch dringlicher: Wodurch lässt sich der steigende Trend der letzten Jahre erklären? Besonders deutlich werden die Gründe des Versagens bei näherer Betrachtung des Landes, aus dem aktuell mit 6,7 Millionen die meisten Menschen fliehen mussten: Syrien. Der dortige Bürgerkrieg tobt mittlerweile seit fast zehn Jahren Jahren. Das Assad-Regime führt seine Truppen unerbittlich gegen die eigenen Bürger und macht dabei auch vor dem Einsatz von Giftgas keinen Halt. Unterstützung kommt von Russland, das als eine von fünf Nationen als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat ein Vetorecht innehat und daher mögliche Resolutionen im Alleingang verhindern kann.
Bis Ende 2019 legte Russlands Regierung, die das Assad-Regime unterstützt, 14 Vetos gegen vorgeschlagene Resolutionen des Sicherheitsrates ein, acht Mal zusammen mit China. Eine dieser Resolutionen, im Dezember 2019, sah vor, eine Vereinbarung über grenzüberschreitende humanitäre Lieferungen in die Kriegsregionen zu verlängern. Russland und auch China stimmten dagegen – mit der Begründung, dass große Teile der Hilfe von terroristischen Gruppen abgefangen würden. Das Resultat: Mehr als 13 Millionen Hilfsbedürftigen in Syrien werden nicht ausreichend mit Nothilfegütern versorgt.
Einzelinteressen dominieren den Sicherheitsrat
Und Syrien ist nur ein Beispiel. Das Jahr 2019 verzeichnete anhaltende oder neu auftretende Konflikte in 27 Ländern und. In all diesen Fällen hätte die Bedrohung des Friedens ein entschlossenes Auftreten des Sicherheitsrates notwendig gemacht.
Doch die Bilanz ist „ernüchternd“: Rund ein Viertel der Konflikte schaffte es erst gar nicht auf die offizielle Agenda des Sicherheitsrates. In einem weiteren Fünftel aller Fälle blieb die Diskussion ergebnislos. Dies betrifft beispielsweise die Vertreibung der Rohingya aus Myanmar sowie die politisch bedingte humanitäre Krise in Venezuela. Lediglich im Jemen wurde ein Mandat für eine neue politische Beobachtermission erteilt.
Bei allen ungelösten Konflikten zeigt sich: Nationale Interessen und Alleingänge lähmen den Sicherheitsrat und verschärfen humanitäre Krisen, statt sie zu befrieden.
Gute Ansätze der Bundesregierung
Seit Anfang 2019 hat auch Deutschland wieder für zwei Jahre einen der Sitze im Sicherheitsrat. Im Gegensatz zu den ständigen Mitgliedern Großbritannien, Frankreich, China, Russland und den USA besitzt die Bundesregierung keinen dauerhaften Platz im Gremium. Die aktuell sechste Teilnahme endet im Dezember. Deutschland nimmt im Sicherheitsrat traditionell eine Vermittlerrolle ein und ist zudem der viertgrößte Beitragszahler für die aktuell 13 laufenden Friedensmissionen.
Besonders hervorzuheben sind die Bemühungen um die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“, die in diesem Jahr 20-jähriges Bestehen feiert. Hier hat Deutschland im vergangenen Jahr federführend die Resolution 2467 auf den Weg gebracht, die Staaten darauf verpflichtet, sexuelle Gewalt als Teil einer gezielten Kriegsstrategie national und international zu ächten. Eine Folgeresolution zielt zusätzlich darauf ab, Rechtsverletzungen durch Gerichte zu ahnden und durch das Ende der Straflosigkeit potentielle Täter endlich wirksam abzuschrecken.
Mehr Verantwortung ist notwendig
Andere Aspekte dagegen werden vernachlässigt. Kinderrechtsthemen wie „Kinder in bewaffneten Konflikten“, das bei der letzten deutschen Beteiligung im Sicherheitsrat 2011/12 noch im Mittelpunkt stand, haben für Deutschland aktuell keine hohe Priorität. Bei einem weiteren wichtigen Thema, dem Schutz humanitärer Helferinnen und Helfer in Krisengebieten, fordert die Bundesregierung eine „bessere Durchsetzung des humanitären Völkerrechts“, ohne jedoch konkrete Maßnahmen vorzuschlagen.
Eine gute Gelegenheit für politische Initiativen bietet sich ab nächster Woche: Im Juli übernimmt Deutschland vorübergehend den Vorsitz des Sicherheitsrates und kann dadurch die Tagesordnung der Gremiensitzungen bestimmen. In dieser Rolle konnte die Bundesregierung auch die Verabschiedung der Resolution 2467 durchsetzen. Maßgebliche Unterstützung erhielt sie dabei von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen. Die nutzen auch den bevorstehenden deutschen Vorsitz im Sicherheitsrat, um zentrale Anliegen durchzusetzen. Für die Kindernothilfe steht dabei vor allem das Thema „Kinder in bewaffneten Konflikten“ und der bessere Schutz von Kinderrechtsverteidigern, zum Beispiel durch eine Verbesserung der Strafverfolgung, im Fokus.
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