Am 14. November erschoss eine Spezialeinheit der chilenischen Militär-Polizei Camilo Catrillanca (24). Er gehörte der ethnischen Minderheit der Mapuche an. Bereits als Jugendlicher engagierte er sich gegen die Unterdrückung der Mapuche-Gemeinden und den Verlust ihres Landes an Großgrundbesitzer. Seine Ermordung löste in ganz Chile eine Welle von Protesten aus. Der Chef der Regionalverwaltung der Region Araukanien, in der Catrillanca lebte, musste nach Falschaussagen bereits zurücktreten. Demonstranten fordern nun auch den Rücktritt von Innenminister Andrés Chadwick. Bewirkt Catrillancas Tod endlich ein Umdenken gegen die Gewalt in Chile?
Text: Claudia Vera und Guillermo López, Fotos: Kindernothilfe-Partner
Claudia Vera von unserer Partnerorganisation ANIDE und Guillermo López erinnern an Catrillanca und seine Teilnahme an einem ANIDE-Seminar vor sieben Jahren. López schreibt einen von der Kindernothilfe finanzierten Bericht zur Situation der Mapuche in Chile.
Araucanía: Armut und Gewalt – auf vielfältige Art und Weise
Wer die Geschichte von Camilo Catrillanca verstehen will, muss über eine zutiefst beeinträchtigte Kindheit und Jugend sprechen. Es geht um systematische Gewalt gegen Mädchen, Jungen und Heranwachsende. Sie wachsen auf in unterdrückten Gemeinden und müssen Gebietsansprüche auf ihren angestammten Lebensraum erheben. Es geht um Biographien, die auf verschiedene Weise von Gewalt geprägt sind. Einerseits physische Gewalt durch die Polizei bei Razzien, aber auch symbolische Gewalt, wirtschaftliche Gewalt, institutionelle Gewalt.
Beamte nehmen Eltern ihre Kinder weg
Die Region Araucanía ist nach jüngsten sozioökonomischen Studien (Casen Survey 2017) die ärmste in ganz Chile. Auch dies ist zweifellos eine Verletzung der Rechte der Bewohner, denn Armut bringt immer weitere Benachteiligungen mit sich. Die Menschen dort erleben aber auch andere Formen der Gewalt. Beamte entreißen Eltern ihre Kinder. Die Erziehungsberechtigten geraten auf unabsehbare Zeit in Untersuchungshaft. Und am Ende eines unfairen Gerichtsverfahren steht häufig eine lange Haftstrafen. Internationale Menschenrechtsorganisationen haben mehr als einmal angeprangert, dass chilenische Justiz und Polizei gegen Grundrechte verstoßen.
Schon als Teenager prangerte Camilo staatliche Gewalt in Chile an
Bereits seit seiner Jugend war Camilo sehr aktiv. Er war Studentenführer und gehörte als 16-Jähriger zu den Aktivisten, die die Gemeinde Ercilla besetzten. Sie wollten damit ihren Forderungen Nachdruck verleihen. 2011 nahm er an einem von ANIDE organisierten Seminar über staatliche Gewalt gegen Mapuchekinder teil. In der damaligen Pressemitteilung hieß es:
„Camilo Catrillanca, Sprecher der Besetzer der Gemeinde Ercilla, verurteilte den Rassismus und die Diskriminierung von Jugendlichen in Bildungseinrichtungen, die Polizeikontrolle, die sie daran hindert, sich frei in ihren Gemeinden zu bewegen, und die Unterdrückungsmethoden der staatlichen Institutionen. ‚In der Gemeinde von Temucuicui, zu der ich gehöre, gibt es ständig Razzien. Wir sind nicht mehr frei, wir können nicht mehr in die Berge gehen und uns um unsere Tiere kümmern. Die Repressionen lassen das nicht zu. Der Staat ist der Hauptverantwortliche. Er schickt Carabineros, um uns zu töten, ohne dass wir etwas dagegen tun können – sie erschießen uns aus nächster Nähe.‘ Er prophezeite auch, dass ‘sich nach unserem Bericht hier sicherlich nichts ändern wird‘. Trotz allem würden sie weiterhin ihre angestammten Gebiete fordern: ‚Weil es der einzige Weg für uns ist, uns als Mapuche, als Kultur zu entwickeln‘.“
Die blutige Razzia der Polizei
Dann, am 14. November 2018, dringt eine polizeiliche Sondereinsatzgruppe in das Dorf Temucuicui ein. Camilo Catrillanca, seit einiger Zeit Vater eines kleinen Mädchens und in Erwartung eines Sohnes, ist mit einem Traktor auf dem Gemeindeland unterwegs. Neben ihm sitzt ein 15-jähriger Teenager. Als die Schießerei beginnt, sagt Camilo dem Jungen, dass er sich ducken soll. Sie werden von hinten beschossen. Camilo stirbt wenige Stunden später an den Folgen eines Kopfschusses. Sein Tod erzeugt Bestürzung, Wut und Ohnmacht, denn sie verdeutlicht auf brutale Weise die herrschende Willkür. Wieder einmal ist der Staat Chile für den Tod eines jungen Mapuche verantwortlich.